Marzipantage – Teil 2

(Fortsetzung von Teil 1) Es lohnt sich, auf der Fraueninsel früher als üblich aufzustehen. Die Ruhe zu erleben, sich beinah alleine breit zu machen auf dem Eiland. Im Hinterkopf bereits die leise Furcht vor den neuerlichen Besuchermassen. Glücklich ist, wer einen Regentag erwischt hat – dann bleiben die meisten Touristen der Insel fern und die Ruhe erhalten. Klart es nachmittags auf, machen sich nicht mehr allzu viele die Mühe der Anreise.

An einigen Vormittagen pro Woche hat der Inselladen als Nahversorger geöffnet. Dort treffen die ansäßigen Damen mit ihren geflochtenen Einkaufkörben, die schwarzgewandeten Nonnen des benachbarten Klosters – und die paar Feriengäste mit ihrem Lebensmittelbedarf aufeinander. Dass man nicht zuhause einkauft, merkt man am schnellsten an den verschiedenen Brot-Vokabeln. Welche davon verwendet man wohl hier…? Brötchen, Semmerl, Teilchen, Flesserl, Weckerl? Alles falsch, das gewünschte Backwerk heißt nämlich Zipferl.

Das Wort purzelt aus dem Munde der Verkäuferin. >Sie war’s, sie war’s<, denkt sich die Entdeckerin, als sich eine Nonne umdreht, um die Szene besser betrachten zu können. Mit größter Anstrengung wird das intern anwachsende Lachen bis zum Verlassen des kleinen Ladens unterdrückt, extern darf es losbrechen. Großartig! Das Reiseherz macht Luftsprünge. Nachmittags schmeckt das erstandene Zipferl bei einer der zahlreichen Inselwanderungen vorzüglich. Gebacken aus Laugenteig, geflochten und knusprig.

Wird der Appetit so richtig >ordentlich<, findet sich ein Gastgarten, ein Wirtshaus, ein inseleigenes Bräu. Die gastronomische Vielfalt auf der Fraueninsel ist erstaunlich. Es lohnt sich, den Gaumen ein wenig auf die Reise zu schicken. Mittags hier, nachmittags dort und abends – wer weiß…? Das Auge erfreut sich an wunderbar alten Mustern auf wendbaren Tischdecken. Dazu Schatten spendende Bäume, ein deftiger Imbiss sowie herzliches Servierpersonal in Tracht und mit strammen Wadeln: Bayern pur.

Wir besuchen Töpfereien und Kunstateliers, wandern an Fischräuchereien vorbei und beobachten Maler bei der Arbeit. Schwarz gekleidete Nonnen spazieren über die Insel und grüßen freundlich. Eine Schar Enten besucht >ihren< Insulaner im Garten. Ungeduldig zwicken sie den Herrn im Blaumann so lange ins Wadl, bis sie ihr Mittagessen bekommen, wie jeden Tag. Gelebt wird hier miteinander.

Eines der informellen Wahrzeichen ist ein einsames Bäumchen samt eigener Insel. Ein Idyll, das sich bei einem Weißwurst-Frühstück besonders authentisch betrachten lässt. Stramme Winde haben bereits zwei solcher Bäume auf dem Gewissen, die aktuelle Weide ist die Nummer drei. Das wahre Zentrum der Insel ist jedoch das Kloster Frauenwörth mit seiner beeindruckenden kleinen Kirche, gegründet von Herzog Tassilo III im 8. Jahrhundert. Der Glockenturm steht frei und führt ein optisches Eigenleben, sein markantes Zwieberl ist ihm erst 1626 aufgesetzt worden.

Charmant ist sie, die Fraueninsel. Verfügt über das köstlichste Marzipan weit und breit –  und hat einen Zaubertrick auf Lager: Die Zeit vergeht hier langsamer als anderswo. Die Minuten tröpfeln gelassen dahin wie dicker Sirup. Diese fast vergessene Langsamkeit hat eine Ursache: Wo die Wege kurz sind, wird keine Zeit mit Ankommen vergeudet. Man ist schon da, in jedem Augenblick. Mitten im Paradies mit seiner facettenreichen Magie.

Die Abreise fällt nicht leicht, doch mit dem Schritt auf das Schiff beginnt sie bereits von vorne, die Vorfreude auf den nächsten Besuch…