Kapitel 15 – Entdecken, tanzen, Haare lassen
Irgendwann kann man es nicht länger ignorieren. Irgendwann blickt man in den Spiegel und weiß, heute muss es sein. Der lange aufgeschobene Gang zum Friseur steht an. Nur – wohin wendet frau sich? Mit Problemhaar und ohne Kontakt zum hiesigen Friseurgewerbe? Die Rettung erfolgt wieder einmal durch Angela, unser Hausengerl. Immerhin lebt die US-Amerikanerin schon seit sechs Jahren in Buenos Aires und hat bereits viele Gäste betreut – darunter mussten auch einige Haare lassen…
Um an keinen Hundefriseur zu geraten, oder die kommenden Wochen in Quarantäne verbringen zu müssen, wendet die Entdeckerin sich an Daniel Aramburu. Den von Angela empfohlenen Salon gibt es seit 20 Jahren, da wird hoffentlich etwas Übung im Spiel sein. Auf dem Weg zum Friseur hört die Entdeckerin ein Kompliment, auf dem Weg nach Hause immerhin zwei. Die Rechnung verkündet also: Das Experiment ist geglückt. Die Großmutter des Salon-Inhabers Daniel stammt aus Innsbruck. Gerührt holt der Coiffeur ein paar deutsche Worte aus dem Kopfarchiv und freut sich über den vertrauten Klang seiner Kindheit…
Die Kindheit von Mario Barletta hingegen fand in Kalabrien statt. Dort hat er bereits mit neun Jahren nähen gelernt – heute ist Mario einer der Schneider in Buenos Aires. Die Entdeckerei müßte wohl in Recherchiererei umbenannt werden, wäre diese Begegnung geplant gewesen. Auf dem Weg zu einem Geschäft für Tangoschuhe kommen wir zufällig an einem geöffneten Fenster vorbei und blicken mitten ins Schneider-Atelier. Der Wikinger steht wie angewurzelt und die Sache ist klar: Da müssen wir rein. Ein schüchternes >Hola!< ins Innere gerufen, schon steht der fein gekleidete Schneider am Fenster und bittet uns mit leuchtenden Augen herein. Die Zunftkollegen plaudern, die Entdeckerin hilft mit ein paar Übersetzungen aus – die Freude ist auf allen Seiten spürbar. Mario ist mit zwölf Jahren nach Buenos Aires gekommen. Bereits in diesem zarten Alter konnte er seinen späteren Lehrherren von seinen Fähigkeiten überzeugen. Heute betreut er Kunden aus aller Welt – und nimmt sich trotzdem Zeit für einen Plausch mit den Entdeckern.
Beim Tango hingegen wird nicht geredet. Diese Art der Kommunikation findet großteils schweigend statt. Ein Kopfnicken reicht als Aufforderung und nur zwischen den einzelnen Musikstücken bleibt Platz für ein wenig Smalltalk. Die Auswahl der Milongas ist in Buenos Aires riesig und die Möglichkeiten zu tanzen sind über die ganze Stadt verstreut. Jene ältere Dame, die sich von den Entdeckern beim Schuhekaufen etwas vortanzen ließ, hat uns von der Milonga >Lo de Celia< erzählt. Dort ist es nicht besonders schön. Der Raum hat den Charme eines Vereinslokals – und trotzdem liegt ein Zauber über der Szene, der einen vor Rührung verstummen lässt. Damen und Herren im besten Pensionsalter tanzen mit mühelos gesetzten Schritten. Erblühen sichtlich während die herrlichen alten Melodien erklingen und schenken einander eine Umarmung. Und plötzlich findet sich die Entdeckerin in den Armen eines eleganten Tangueros. Leicht wie eine Wolke führt er die Überraschte über die gut gefüllte Tanzfläche. Die linke Hand des Herrn zittert bereits ein wenig, doch er tanzt mit jahrzehntelanger Übung und singt dabei leise ins Ohr der Entdeckerin. Über uns dreht sich langsam eine glitzernde Discokugel, die ihre besten Jahre bereits hinter sich hat. So wie Antonio, jener 79-jährige Tänzer mit den leichten Füßen. Doch der Tango kennt kein Alter, der Tango ist für alle…
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