Venedig

Manchmal braucht man einfach Postkartenidylle. Manchmal möchte man dorthin, wo leider auch viele andere hinwollen. Was bleibt, um den Massen auszuweichen? Antizyklisches Reisen, eine Spezialität der entdeckerei. Darum ist der Karneval schon vorbei, wenn wir uns auf nach Venedig machen, aber Ostern noch fern. In den Ritzen der Stadt liegt Confetti. Es leuchtet bunt vom Boden, sie waren wohl überall, die Kostümierten.

Das Ankommen in der Lagunenstadt gleicht einem Theaterstück. Schon bei den ersten Blicken ist man verzaubert. Selbst diejenigen, die schon mehrmals in der >Serenissma< waren, staunen wieder, wie schnell sich einem dieser Ort in die Seele schmeichelt.

Bereits auf den ersten Schritten legt uns diese Stadt ihr erstes Geschenk in die Hände: Zwei abreisende Touristinnen mit indischem Akzent überreichen uns ihren noch gültigen >Venezia Unica City Pass<. Damit darf man nach Lust und Laune Vaporetto fahren und viele Museen besuchen, eine Art kulturell-mobile Green Card also.

Schon am folgenden Tag nützen wir die Tickets gerne, denn es stürmt und regnet in Venedig. Eine Fahrt per Vaporetto ist nun angenehmer als der vergebliche Kampf gegen die Elemente mit einem sehr bunten, aber recht filigranen Schirm aus Singapur.

Wir tuckern durch den Canal Grande, die Scheiben lassen stets nur so viel Durchblick wie man zuvor freigewischt hat. Es zieht und ist feucht-kalt. Eigentlich wäre ein Tee auf dem heimischen Sofa jetzt eine gute Idee, doch mit all den Verlockungen ringsum zieht man den Schal dichter um den Hals, rückt die Wollhaube zurecht und nimmt venezianische Haltung ein.

Sie gehen aufrecht, die Einheimischen, sie geben sich nicht die Blöße eines müden Buckels. Sichtbarer Stolz, der dennoch frei von Arroganz ist. Eingeborene, die unseren Weg kreuzen, sind geduldig, höflich und freundlich. Jene Aggressivität, die an anderen vielbesuchten Orten spürbar ist, fehlt hier erstaunlicher Weise.

Doch es muss ziemlich nerven, wenn die eigene Stadt ständig von Touristenmassen betrampelt und von Wegesuchern verstopft wird. Nirgendwo sonst sieht man so viele Nasen in Stadtpläne gesteckt. Das Labyrinth aus Kanälen, Gassen und Brücken fordert regelmäßige Unterstützung bei der Orientierung.

Vielleicht sind die Venezianer deshalb so gelassen, weil sie einen wunderbaren Brauch leben: Andar per Ombre, auf (ein paar) Schatten gehen. Der poetische Begriff stammt wohl aus Zeiten, als der Wein noch im kühlen Schatten, la ombra, ausgeschenkt wurde. Dort trank man sein Gläschen Vino und der Tag wurde zum Fest.

Heutzutage kehren die Lagunenbewohner bereits vor Mittag in ihre Bàcari ein, um ein Schlückchen zu trinken. Der Wein im kleinen Glas stammt aus dem Umland und kostet einen Euro, manchmal auch eineinhalb. Vielleicht ist er kein großer Tropfen, aber ein großartiger Weg, dem Alltag etwas Feierliches zu geben. Dazu isst man Cicchetti, die venezianische Variante der spanischen Tapas, und plaudert mit dem Besitzer oder angetroffenen Bekannten. Das Leben ist schön, einfach so.

Dieses kleine tägliche Volksfest hat uns so gefesselt, dass wir vor lauter Schauen und Lauschen aufs Fotografieren vergessen haben. Darum sind dort oben leider keine >Ombre< zu sehen, sondern zwei Sorten Spritz – auch dieses venezianische Ritual musste probiert werden. Einmal mit Aperol, einmal mit Campari und dazu ein paar Cicchetti, herrlich.

In dem genussvollen Buch >Weinbars in Venedig< sind viele Bàcari beschrieben. Wir haben dieses Druckwerk durch die halbe Lagunenstadt getragen und können bestätigen: die Autoren haben sowas von Recht! Unsere beiden aktuellen Favoriten sind Bancogiro und Al Squero. Hingehen und ausprobieren …

Es könnte ewig so weitergehen, die Genussfähigkeit dieser Stadt lockt in verborgene Ecken. An einem Canal in Canareggio sitzen wir in der zurückgekehrten Sonne und überlegen beim Spritz wie es wohl wäre, einmal für ein paar Wochen hier zu leben … Eintauchen in den Alltag, Gemüse kaufen, Wäsche waschen und alle Bàcari probieren.

Sogar bei Regen haben wir so viele lächelnde Gesichter wie selten wo gesehen. Das kann an der berührenden Schönheit dieser Stadt liegen, aber auch an den kleinen Gläsern >Schatten<, die einen durch den Tag begleiten, bis es Zeit ist, sich abends bei einem richtigen Essen niederzulassen. In einer der zahlreichen Gaststätten oder einfach zuhause …

Wer in Venedig übernachten möchte, wir hätten da einen Tipp …

PS: Das prachtvolle Bild ganz oben ist von Dario Lo Presti über Fotolia, alle anderen Aufnahmen sind Schnappschüsse der entdeckerei.